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Im Theater: Der König in Gelb

Passend zur trüben Jahreszeit hielt der kosmische Horror 2023 abermals Einzug in die Würzburger Theaterlandschaft. Dieses Mal wurde Robert W. Chambers Der König in Gelb in der Inszenierung des Theater Ensembles im Bürgerbräu uraufgeführt und fand viel Anklang. Doch wie kann eine visuelle Darstellung des Unausprechlichen und Unbeschreiblichen gelingen, wo der moderne Film in der jüngeren Vergangenheit viel zu oft scheitert?

Die literarische Vorlage

Bei Der König in Gelb (bzw. The King in Yellow) handelt es sich um die 1895 erstmals publizierte Kurzgeschichtensammlung des amerikanischen Autors Robert W. Chambers. Im Fokus seiner romantisierenden bis makaberen Phantastik steht ein gleichnamiges Theaterstück in zwei Akten. Es dreht sich um einen gelben König, der die sagenumwobene Stadt Carcosa am See Hali durch Wahn und Siechtum zugrunde richtet. Das gleiche Schicksal ereilt viele von Chambers Protagonisten, die sich mit diesem verfluchten Werk auseinandersetzen. 

Der König in Gelb hält später als ungeheuerliches Kunstwerk und als Avatar des Großen Alten Hastur Einzug in den von H.P. Lovecraft maßgeblich geprägten Cthulhu-Mythos. Beides ist dort bis heute fester Bestandteil des ursprünglichen Kanons. 

Camilla: Ihr, mein Herr, solltet eure Maske abnehmen.
Der Fremde: Wirklich?
Cassilda: Wirklich, es ist an der Zeit. Wir alle haben unsere Verkleidung abgelegt, nur Ihr nicht.
Der Fremde: Ich trage keine Maske.
Camilla: (entsetzt an Cassilda): Keine Maske? Keine Maske!Der König in Gelb, erster Akt, zweite Szene

Das Bürgerbräu als Aufführungsort

Aufgeführt wurde die neuerliche Interpretation des Theater Ensembles zu Der König in Gelb im unterirdischen Gewölbe des Kultur- und Kreativzentrums Bürgerbräu am Stadtrand von Würzburg. Das Betriebsgelände der ehemaligen Brauerei, deren Wurzeln bis weit ins 19. Jh. zurückreichen, steht heute unter Denkmalschutz. Es bietet daher ein passend zum Theaterstück in der Zeit zurückversetztes Ambiente.

Und so huschten wir am Abend des 27. Oktobers über das alte Industriegelände, das vom künstlichen Licht matter Laternen spärlich erhellt wurde. Dabei folgten wir fast schon verstohlen den uns Vorauseilenden zu einer neongrell pulsierenden Bar, die zwischen den vormaligen Werkshallen in einer Seitengasse auf sich aufmerksam machte. Und hier führten uns unsere Eintrittskarten in die verhangenen Kellergefilde, wo die Luft noch immer schwer von zwei Jahrhunderten des Brauens war. Die wenigen Stuhlreihen vor der offen drapierten Bühne verrieten uns dabei sogleich, dass wir heute Abend zu den wenigen Auserwählten gehören würden, dem gelben König unsere Aufwartung zu machen. 

Der Schleier fällt

Von den Publikumsplätzen aus schauten wir zunächst in den fast schon überladenen Bühnenbereich: ein mit zahllosen Büchern, Kerzen und Gemäldeentwürfen wüst dekorierter Wohnraum, der sich sodann mit Leben füllte: Hier hausen also die vier Kunstschaffenden Jack (Johannes Kern) mit seiner Liebsten Tessie (Jelka Dirksen), sein bester Freund Hildred (Philipp Oehlenschläger) und dessen Angebetete Geneviève (Annika Moucha). Dazu gesellt sich gelegentlich der Strauchdieb Fellowby (Jonas Gründler). Erstere träumen allesamt vom großen Erfolg in Theater, Ballett oder Malerei – verbunden in Freundschaft, Ehrgeiz und Armut, während des Nachts die Sirenen aufheulen und deutsche Fliegerbomben einschlagen.

Trotz aller Bemühungen kommen die vier in ihrer Kunst nur schwerlich voran. Ablehnung und Selbstzweifel sind ihr stetiger Begleiter. Schließlich entdecken sie aus einer allabendlichen Laune heraus den König in Gelb in ihrem Büchersammelsurium. Hin- und hergerissen zwischen entzückender Neugier und grabestiefer Furcht lesen sie nach und nach das verheißungsvolle Werk. In der Konsequenz wandelt sich ihre Hoffnung alsbald in Wahn, ihr Ehrgeiz in Verblendung und ihre Zuneigung füreinander in Verachtung. Der gelbe König (Norbert Bertheau), dem selbst schon Kaiser dienten, hat unlängst Einzug in ihre Reihen gehalten, um seinen verheerenden Tribut einzufordern.

Hildred vertreibt sich die Zeit im gemeinsamen Appartement (Foto: J. M. Stangl)

Expressiv und effektvoll

Getragen wird das Schauspiel von der starken Performance der vier Hauptakteure. Beflügelt von ihren Träumen und Sorgen begleiten wir also vor allem Jack, Tessie, Hildred und Geneviève durch die Höhen und Tiefen ihres entbehrungsreichen Alltags, knüpfen Bande und fühlen letztlich mit. Das Stück nimmt sich hierfür die erforderliche Zeit, um letztlich das Mitfiebern der Zuschauenden zu ermöglichen. Dieses wird durch den allmählich um sich greifenden Wahnsinn der liebgewonnenen Künstlerkommune im Angesicht unumstößlicher Wahrheiten ausgelöst. Es bildet das zentrale Spannungselement kosmischen Horrors, das es einzufangen gilt. (Der Strauchdieb Fellowby dient hier zwar als „normalweltliches“ Korrektiv, spielt aber nur eine untergeordnete Rolle.)

Dabei bildet das umfangreich ausgestattete Bühnenbild nicht nur eine die Handlung visuell rahmende Kulisse, sondern dient sogleich auch als Repertoire für die implementierten Requisiten: Kerzen, die wiederholt angezündet und gelöscht werden; Bücher, aus denen vorgelesen wird, und Leinwände, die an Farbigkeit gewinnen. Doch je mehr Raum der gelbe König in der Gemeinschaft einnimmt, desto wüster fliegen die Fetzen. Parallel zum geistigen Verfall der Protagonist*innen stürzt das bespielte Appartement auf diese Weise mehr und mehr ins Chaos.

Allerdings hinterlassen Kerzenrauch, Kunstzigaretten, Regen simulierende Wassersprinkler, Farbspritzer und umgestoßene Speisen durch die wiederholten Aufführungen nachhaltig ihre Spuren. So war der unterirdische Vorführraum von einem modrig immersiven Mief geprägt, der auch vor eigenen Kleidungsstücken keinen Halt machte. Dem Stück schadete dies nicht, gefiel aber vielleicht nicht allen.

Jack reicht seinem fantasierenden Freund Hildred anerkennend die Hand (Foto: J. M. Stangl)

Der gelbe König

Der zentrale Antagonist präsentierte sich vorlagengetreu in einem schlichten, sattgelben Kapuzenmantel. Sein Gesicht war einer Maske gleich bis zur Unkenntlichkeit verhangen und dementsprechend bis auf seine Silhouette rein äußerlich weitgehend entmenschlicht.

Bei Jacks heimlichen Lesen der ersten Zeilen aus dem König in Gelb entdecken wir seine gelbe Gestalt zuerst hinter einem regenverhangenen Kulissenfenster außerhalb des Appartements. Später rückt sie heimlich in eine Ecke des Wohnraums, dann setzt sie sich behutsam auf das Sofa und letztlich schreitet sie offen über die Bühne. Wir verstehen: Je öfter und intensiver Der König in Gelb von den Kunstschaffenden rezipiert wird, desto präsenter wird sein Avatar in deren flüchtigem Dasein, bis der Wahnsinn endgültig um sich greift.

Der gelbe König (Foto: J. M. Stangl)

Eine Hommage

Dem Regisseur Tobias Schmidt war es ein dezidiertes Anliegen, die Essenz des Originals möglichst umfassend einzufangen. Gar keine so einfache Aufgabe, wenn man bedenkt, dass das nebulöse Theaterstück eigentlich nur bruchstückhaft in Chambers vier ersten Erzählungen rezipiert wird, also als vollständige Fassung überhaupt nicht vorliegt, im Rahmen des Cthulhu-Mythos aber beispielsweise in der Ausgabe von Manuell Filsinger Details gewinnt.

Dementsprechend entwickelte das Theater Ensemble hier mit den Motiven Chambers inhaltlich eine neue „Kurzgeschichte“. Im Mittelpunkt stehen auch hier vier Kunstschaffende in der ersten Hälfte des 20. Jh., die spätestens seit Lovecrafts inzwischen prominentem Ruf des Cthulhu (1928) als sensibel und besonders empfänglich für außerweltliche Schwingungen gelten.

Formal entfaltet sich dieses Schauspiel ebenfalls in zwei Akten und folgt der rezipierten Struktur: ersterer handlungsrelevant und bekömmlich, letzterer Wahnsinn und geistigen Verfall hervorrufend. Außerdem werden Kenner der Materie zumindest die Namen der auftretenden Figuren aus Chambers Kurzgeschichten wiedererkennen. Die herstellbaren Bezüge sind aber eher inspirativer Natur und bilden keinen inhaltlichen Mehrwert.

Fazit zu Der König in Gelb

Rückblickend war Der König in Gelb eine gleichermaßen gelungene wie anspruchsvolle Inszenierung auf engstem Raum, die uns begeisterte. Getragen wurde die fast dreistündige Aufführung (mit Pause) vom starken Schauspiel des Theater Ensembles vor einer clever genutzten Kulisse. Der Handlungsrahmen war zwar erwartungsgemäß überschaubar, orientierte sich aber bewusst an der klassischen Vorlage Robert W. Chambers und hielt für Kenner der Materie sogar einige Easter Eggs parat.

Die Elemente des kosmischen Horrors entfalteten ihre Wirkung, indem genügend Zeit darauf verwendet wurde, die Protagonist*innen umfassend zu präsentieren. Dadurch wurde ihr sukzessives Scheitern für uns nachvollziehbar und berührte mitunter eigene Befindlichkeiten. Die Figur des gelben Königs verweilte dabei bist fast zuletzt als passiver Akteur, dessen verheerendes Wirken sich ausschließlich im sich verändernden Verhalten der Protagonist*innen manifestiert. So bleiben seine Motive bis zuletzt nebulös und unergründlich, wie es auch sein sollte. Stilistisch abermals sehr clever gelöst.

Allerdings muss man auch anmerken, dass der gelbe König in seiner humanoiden Gestalt ein visuell einfach umzusetzender Antagonist ist. Im Vergleich zum Antlitz eines tentakelbewehrten Titanen, wie man ihn in der Vorjahresaufführung Der Ruf des Cthulhu in der Theaterwerkstatt hätte implementieren können, durfte hier ganz passabel auf die Darstellung des explizit Unausprechlichen und Unbeschreiblichen verzichtet werden.

Insgesamt können wir wohl von Glück reden, in Würzburg offenbar eine am Cthulhu-Mythos derart interessierte Theaterszene vorzufinden, die sich nicht nur intensiv mit dem vorliegenden Stoff auseinandersetzt, sondern auch das Franchise mit viel Liebe zum Detail für eine breite Masse mitunter stilecht aufbereitet. Gerne mehr davon!

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Die Publikation aller hier gezeigten Fotos erfolgte freundlicherweiser mit der Zustimmung des Theater Ensembles.

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